Diejenigen erreichen, auf die es ankommt

Taunusschüler erstellen interaktive Ausstellung zu 80 Jahren Kriegsende
Sie sind zu einer Zeitzeugin im Taunus gefahren und haben die alte Dame zwei Stunden lang interviewt. Sie haben Briefe ihrer Großeltern mit an die Schule gebracht und in alten Dokumenten aus Archiven gestöbert. Sie haben historische Fotos gesichtet und Straßen und Plätze in Bad Camberg aufgesucht, die von der Herrschaft der Nationalsozialisten zeugen. Sie haben junge und alte Menschen befragt: über den Zweiten Weltkrieg und dessen Ende, über die Relevanz für uns heute, über Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen.
Am Ende stand eine interaktive Ausstellung zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Die Schülerinnen und Schüler des Geschichte-Leistungskurses der 12. Klasse der Taunusschule haben sich dem Thema aus einer lokalen Perspektive genähert – und dann die Ergebnisse ihren Mitschülerinnen und Mitschülern ab der 9. Klasse präsentiert.

Die Besucher der Ausstellung positionieren sich zu Aussagen über den Zweiten Weltkrieg.

„Es geht nicht zwingend um mehr Wissen zum Nationalsozialismus“, sagt Geschichtslehrerin Vanessa Leimpek, „sondern darum, dass die Schülerinnen und Schüler sich Gedanken darüber machen, wie sie zu einem solchen Gedenktag stehen, dass sie sich eine Meinung bilden, ob und warum wir so etwas brauchen.“

Nachhaltig beeindruckt
Laura Weller und Sophia Schmidt haben eine Zeitzeugin über ihre Erlebnisse befragt, den Kontakt hatte eine Lehrerin hergestellt. Marianne Momberger ist als kleines Mädchen vor der Roten Armee geflohen und hat sich zusammen mit der Mutter und den beiden Geschwistern in Scheunen versteckt. Die heute 86-Jährige spricht nicht oft von diesen Erlebnissen, aber für das Unterrichtsprojekt hat sie sich zwei Stunden lang Zeit genommen – und die Mädchen nachhaltig beeindruckt. „Sie ist eine sehr starke Frau“, sagt die 18-jährige Laura. Auch mit der eigenen Großmutter ist Laura noch einmal ins Gespräch gekommen: die erste Begegnung mit einem dunkelhäutigen amerikanischen Soldaten, Maßregelung, weil sie den Hitlergruß nicht richtig gemacht hatte und die Schaukel, welche die Amerikaner am Grünen Platz aufgestellt haben, sind Erinnerungen, von denen die 1937 Geborene ihrer Enkelin erzählt hat. „Wenn sie von dieser Zeit berichtet, geht ihr Blick in die Leere“, hat Laura beobachtet.
„Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn meine Großeltern nach dem Krieg nicht vertrieben worden wären“, überlegt die 18-jährige Lucie Stephan. Sie hat mit ihrer Familie das Haus ihrer Vorfahren im heutigen Tschechien besucht und mit ihrem Großvater über die Flucht der Familie über Dresden, München und Karlsruhe gesprochen. Jedes Familienmitglied habe an einem anderen Ort Heimatgefühle entwickelt. Dass der Opa und seine Schwester in Bad Camberg gelandet und hier geblieben sind, sei reiner Zufall gewesen. Lucies Großvater berichtet in einer Audio-Collage, die die Lernenden erstellt haben, von seinen Erfahrungen. Einen Gedenktag zum Kriegsende hält er für „sehr relevant“.

Lucie Stephan, Laura Weller, Sophia Schmidt und Geschichtslehrerin Vanessa Leimpek haben mit ihrem Leistungskurs Geschichte eine Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg zusammengestellt.

Nazi-Erbe bis heute präsent
An insgesamt fünf Stationen konnten sich die Lernenden der Taunusschule über den Zweiten Weltkrieg und dessen Ende informieren. Die Neuntklässlerinnen Amelie und Sophia beschäftigten sich beim Besuch der Ausstellung mit einem historischen Brief und verfassten dann eine Antwort aus heutiger Zeit; hier zogen sie auch Parallelen zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.

Die Schülerinnen schreiben eine Antwort auf einen Brief aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Im Hintergrund stehen Lehrerin Vanessa Leimpek und Peter Schmidt (Verein Historisches Camberg).

Der Kunst-Grundkurs der 12. Klasse hatte Präsentationen zu verschiedenen Aspekten der NS-Propaganda erarbeitet, etwa Wahlplakate, Propaganda in Schulbüchern oder Erzeugung von Feindbildern durch Plakate.
Eine weitere Präsentation gab einen Überblick über Bad Camberg zur Zeit der Nationalsozialisten: Der heutige Kurpark war einmal Hindenburg-Anlage, die Strackgasse hieß Adolf-Hitler-Straße. Ben Weinandy berichtet auch von der jüngsten Änderung eines Straßennamens, die nicht einmal zehn Jahre her ist: Nach jahrelanger Diskussion wurde die Rudolf-Dietz-Straße in Emsstraße umbenannt. „Auch Orte, an denen wir noch vor ein paar Jahren gespielt haben, gehen auf die Nazis zurück“, kommentiert Julian Lindenschmidt das Foto des mittlerweile abgerissenen Wasserkraftwerks zwischen Bad Camberg und Würges.
Auch Doris Ammelung und Peter Schmidt vom Verein Historisches Camberg haben den Schülerinnen und Schülern einen Besuch abgestattet. Schmidt, der selbst früher Geschichtslehrer war, hatte die Idee zu einer solchen Ausstellung. Zunächst in der Schule, im September dann bei einer öffentlichen Gedenkveranstaltung. „Normalerweise kommen eher ältere Leute zu solchen Gedenkveranstaltungen. Dann gibt es die üblichen Politikerreden, es wird geklatscht, dann gehen alle wieder“, sagt Schmidt. „So erreicht man aber diejenigen nicht, auf die es in der Zukunft ankommt.“ [Text und Fotos: Myriam Rompel]

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